Überlegungen zur Quartiersentwicklung : eine Kritik am Kreativquartier; vom Raum der Minderheiten zum Raum der Mehrheit.
Die Stadt ist ein Konglomerat unterschiedlicher Strukturen die in einem immanenten und damit dynamischen Wechselspiel bestehen. Einzelne Stadtgebiete, Quartiere, Häuser und Wohneinheiten bilden verschiedene Subebenen der städtischen Gesamtstruktur in permanentem Übergang und gegenseitiger Wechselwirkung von Stadt zu Land – von Natur und natürlicher Natur, vom Raum zum Nichtraum. Diese Subebenen generieren innerhalb ihrer Maßstäblichkeit Abhängigkeiten aller Facetten unseres täglichen Lebens – der kulturellen Wirklichkeit.
Um innerhalb einer Subebene – zum Beispiel in einem Quartier – eine Beschleunigung der positiven Potenziale herbeizuführen (unabhängig der Motivation) bedarf es einer strukturellen Veränderung im Inneren. Das Initialmoment wird durch das Ereignismoment ausgelöst und setzt den Prozess der inneren strukturellen Veränderung in Gang.
Diese Veränderung hat nichts mit einer Fragmentierung bzw. Formatierung der ursprünglichen Raum- und Bewohnerstruktur zu tun – der „herkömmlichen“ Veränderung von <Außen>. Bei der angestrebten Veränderung geht es vielmehr um eine Transformation des Eigenraums jedes Individuums also um die permanente (weil im Jetzt) wahrgenommene <Atmosphäre Wirklichkeit> der Bewohner innerhalb des Betrachtungsgebiets – also wenn man so sagen will einer Inneren Veränderung.[1]
Erst aus der (Sub)kollektiven Atmosphären Wirklichkeit im permanenten Jetzt lassen sich im Angesicht einer Generationendilatation temporäre und in weiterer Folge permanente räumliche Eingriffe generieren.
Neben der Motivation & Manifestation des Prozesses spielen die Reihenfolge und der Übergang (Zwischenraum) der einzelnen Prozessphasen eine wesentliche Rolle für eine nachhaltige räumliche Entwicklung im spezifischen Gebiet. Das heißt der <erste> Eingriff im angestrebten Prozess kann keine direkte räumliche Intervention sein! Ich betone das so, denn manche Entwicklungskonzepte (Top Down Development´s) vermitteln fälschlicherweise das Bild das es nur darum gehen kann Kapital zu investieren um einen besseren Raumwert zu generieren. Das mag einerseits stimmen, denn am Ende geht es immer um die Investition von Kapital. Trotzdem stellt sich die Frage welches Kapital wird Wo, bei Wem und Wann investiert? Top Down Entwicklungskonzepte beschränken ihre erste Investition in einem Gebiet meist auf materielle „Aufwertung“ – Material wird sozusagen mit Material abgegolten. Doch es gibt verschiedene Formen von Kapital – diese verschiedenen Werte[2] teilen sich in zwei wesentliche Gruppen auf. Einerseits gibt es das physische Kapital (z.B. das Grundstück) und andererseits gibt es das psychische Kapital – wie zum Beispiel implizites Wissen. Beide sind wesentlich bei einer nachhaltigen Investition da sie in ständiger Relation zueinander stehen, es stellt sich aber eben nur die Frage in welchen Teil (physisch od. psychisch) zuerst investiert wird. Dies scheint für die eben angesprochene und er wünschenswerten Nachhaltigkeit einen wesentlichen Unterschied zu machen.
Beschränkt sich die Investition im ersten Eingriff in einem Gebiet nur auf die Erhaltung und in besseren Fällen auf die Verbesserung der sogenannten Infrastruktur wird dabei vergessen das die Infrastruktur genau die Struktur ist welche uns erst an den Raum und damit die Stadt – wie er/sie ist – bindet. Trotzdem ist eine Veränderung der räumlichen Struktur oft der erste Schritt und dies führt zu einer unweigerlichen Veränderung der Bewohnerstruktur (manchmal mag das ja erwünscht sein) und zum in Gang setzen einer schier endlosen Spirale. Der umbaute Raum beeinflusst die Bewohner und umgekehrt allerdings scheint es bei diesem Kreislauf einen Haken zu geben. Denn die gegenseitige Beeinflussung findet zwar ohne Frage statt – doch die zeitliche Dilatation ist einerseits natürlich vorhanden und andererseits sehr stark von der Potenzialstärke der jeweiligen Bewohner abhängig. Natürlich vorhanden deswegen weil ein Gebäude meist nicht nur für eine Generation gebaut wird und abhängig von der Potenzialstärke deswegen weil Geld bzw. Kapital automatisch bedeutet das man sich Raum nehmen kann bzw. ihn nach seinen Wünschen und im Rahmen des jeweiligen eigen Kapitals gestalten kann.
Am Ende ist der Anfang nicht mehr auszumachen aber für das Endergebnis ist die Reihenfolge und Geschwindigkeit des Anfangs sehr wichtig. Durch z.B. die Aufwertung von Wohneinheiten in einem Entwicklungsgebiet und dem damit implizierten Wunsch der Ansiedlung von einkommensstärkeren Quartiersbewohnern (das unterstelle ich den Investoren) – werden automatisch kapitalistische akkumulative Prozesse in Gang gesetzt die gewachsene und damit natürliche Strukturen zerstören.
Das Endergebnis scheint immer das gleiche – ungeachtet den Voraussetzungen und Methoden der Raumaneignung. Ob es Kreativquartiere, Appartementhäuser oder Bürokomplexe sind – am Ende wurde das Gebiet, gentrifiziert und dem „freien“ Markt des Raumwerts übergeben. Die anfängliche Aufwertung verschwindet meist bald hinter den Institutionsmechanismen der Raumaneignung.
Eine räumliche Veränderung führt in weiterer Folge zu einer innerstrukturellen Veränderung der Bewohner im Gebiet. Neuer bzw. wiederhergestellter Raum benötigt mehr Kapital zur Raumaneignung d.h. neue Gruppen mit einer anderen Potenzialbalance siedeln sich von <Außen> an. Umschichtungen bzw. eine Bewohner Fluktuationen sind in jedem Gebiet erwünscht doch dürfen sie nicht das Ergebnis bzw. das Mittel einer Quartiersaufwertung sein!
Denn auch wenn von der neuen Gruppe ein miteinander kommuniziert – gelebt und gewollt wird – setzt die alleinige Anwesenheit dieser Gruppe unumkehrbare Prozesse in Gang welche das spezifische Gebiet im urbanen Raum nachhaltig verändern. Mit dem kulturraumabhängigem isomorphen Wertzugeständnis an die jeweilige neu angesiedelte Gruppe und dem spezifischen Kulturwert (physisch wie psychisch) den sie transportiert steigt der Raumwert im jeweiligen Gebiet. Diese von <Außen> initiierte Umschichtung setzt im Gebiet inneren Druck frei dem nicht alle Strukturelemente auf der jeweiligen Ebene statthalten können. Dies führt zur Verdrängung der schwächeren Kräfte von Innen nach Außen und zur Bildung neuer Subzonen im Übergang.
Die multikulturelle Vielfalt die zu Beginn viele Kreativquartiere auszeichnet verschwindet im Laufe der Zeit und zeichnet sich bei permanenter Institutionalisierung durch Uniformalität aus.
Ein Dönerladen mit Döner Spies und Gassenverkauf hat einen geringeren isomorphen Kulturwert als ein Architekturbüro mit Apple Computern in der Auslage.
Im Sinne eines multikulturellen urbanen Lebens sind sicherlich beide Beispiele von Notwendigkeit – doch während für den einen z.B. die Miete einen normalen Preis hat – erscheint sie für den anderen günstig das bedeutet zu der günstigen Miete kommt zusätzlich noch ein nicht monetärer Mehrwert (nämlich der der Profilierung mit dem Multikulturellen Gebiet) zur Geltung welcher in weiterer Folge zur Kapitalakkumulation der ohnehin schon „reicheren“ Gruppe beiträgt.
Abgesehen davon wird jeder zustimmen das ein steriler Raum mit Menschen hinter Rechnern und Glasscheiben weniger zum urbanen Leben, der Kommunikation, zur Stadt beiträgt als ein wirklich offener Raum (außer man bekommt Lokalverbot) der aus reiner Notwendigkeit dort angesiedelt ist wo er ist. Das alles mag vielleicht so klingen als ob ich den so genannten Kreativen und Kreativquartieren keinen Raum zum Leben in der Stadt lassen will. Dem kann ich entgegen – das dies auf keinen Fall so ist – doch die Moral der Raumaneignung ist ein zweischneidiges Schwert mit Widersprüchen die von dieser in sich selbst getragen werden. Es gibt wenige positive Beispiele und bei näherer Betrachtung wird einem klar, dass das kulturelle Leben welches einem dort geboten wird zu hundert Prozent inszeniert ist. Und schaut man hinter die Auslagen der dort angesiedelten Kunstateliers wird einem klar das man dort und wie überall auf der Welt den gleichen Ramsch zum Kauf bzw. zum Konsum angeboten bekommt. Von der nachhaltigen Umhängetasche – das tausendste Plagiat von Freitag – bis hin zur Fahrradschlauch Geldbörse – manchmal beschleicht mich das Gefühl Kreativquartiere bzw. Museumsquartiere Weltweit haben schon lange einen gemeinsamen Franchise Geber.
Vordergründig und etwas unreflektiert aber auf jeden Fall gewissenhaft behaupten viele Kreative sie Arbeiten bzw. Wohnen gerne in Auslagen da es ihren offenen Charakter gegenüber der Stadt und damit den Mitmenschen betont. Der Hintergrund – auch wenn manchmal von den Akteuren selbst unbemerkt – ist oft eine anderer. Denn eigentlich geht es um die Profilierung und um die Aneignung – manchmal durch Kauf oft durch langfristige Mietverträge – von Raum, und um die Ausbeutung des jeweiligen Raums auf Zeit.
Verschönerungstaktiken und uniformierte Innenraumgestaltungen führen zu einem Kodex der Wiedererkennung kreativer Kräfte und Macht. Die Individualität als das Markenzeichen wird durch einheitliche Räume und Raumaneignung zum Ausdruck gebracht – ein Wiederspruch in sich und damit Ausdruck normaler gesellschaftlicher Entwicklungen. Warum die Uniformität Markenzeichen der Individualität und Identität ist liegt an der Konstruktion unserer kulturellen Wirklichkeit. Doch dem näher auf den Grund zu gehen führt hier wohl zu weit.
Ist das Gebiet erst einmal ertragreich Institutionalisiert, und alle scheinbar Einkommens schwächeren Vertrieben kommt es zu einer neuerlichen Bürgerwanderung und teilweisen Absiedelung der Initialen Kräfte. Diese <Absiedelung> kann aus Imagegründen (Ertragsschwäche im psychischen Potenzial) passieren aber auch auf Grund zu geringer Anerkennung und damit Anpassung an isomorphe Erkennungsmerkmale und der damit verbundenen und fehlenden Institutionalisierung der betroffenen.
Das bedeutet wird der jeweiligen Gruppe der kulturelle Mehrwert nicht zugesprochen – ist sie über kurz oder lang nicht in der Lage das notwendige Kapital zur Raumaneignung aufzubringen.
Paradoxerweise haben aber „alle“ die zu Anfangs (wann immer das auch war) dabei waren dazu beigetragen diese <Mehrwert Pyramide> zu produzieren bzw. virtuell für das jeweilige Gebiet zu akkumulieren. Hier Weiderderholt sich der Kreislauf des Raumwerts der sich in Wirklichkeit als Pyramide entpuppt – denn der Startpunkt des Kreises ist nicht der Endpunkt. Raumaneignung findet am Ende eines herkömmlichen Gentrifizierungsprozesses immer an der Spitze der Pyramide statt während die Basis immer breiter wird.
Um in unserem angestrebten Entwicklungskonzept solchen Mechanismen entgegen zu wirken – wird die Initiierung des Prozesses – also in der ersten Phase – durch Identitätsbildung ins Leben gerufen. Dieser Teil kann als Dokumentation <Atmosphärer Wirklichkeiten> verstanden werden. Es ist kein Eingriff in vorhanden gesellschaftliche Strukturen eines Gebiets und findet ohne den Hintergrund einer Aneignung bzw. Akkumulation von Kapital statt! Vielmehr geht es um die – Katalysation von vorhanden Potenzialen zugunsten der Bewohner durch die Bildung eines neuen Selbstverständnisses! Er ist die räumliche Dokumentation und damit das >vor Augen führen< bestehender Werte. So geht es uns darum die Perspektive von >Außen< zu verändern um mögliche Strukturveränderungen im >Inneren< in Gang zu setzen. Die Perspektive der Veränderung ist dabei eine Spiegeldimension – der Initialmoment findet supersymmetrisch statt d.h. die Betrachtungsebene der Kausalität wird dabei ausgeschaltet.
Diese Neubildung eines Bilds welches die Darstellung in der permanenten Gegenwart selbst verändert – könnte man >Reidentifikation< nennen. Das heißt der wesentliche Unterschied beim Prozess der >Reidentifikation< zum Prozess der Gentrifizierung liegt darin alte Strukturelemente bzw. Bewohnerstrukturen zu erhalten um gleichzeitig ihr Potenzial und damit ihre Möglichkeiten innerhalb der Infrastruktur der Abhängigkeit zu erhöhen. Nicht das Gebiet wird aufgewertet sondern vielmehr seine Bewohner und ihre Selbstwahrnehmung und erst in weiterer Folge automatisch der umbaute Raum. Vom Raum der Minderheiten hin zum Raum der Mehrheiten…
(Josef-Matthias Printschler, Stuttgart 2014)
[1] Auch wenn die Terminologie von <Innen> und <Außen> nur eine Berechtigung hätte – wenn man Fragen bezüglich der Perspektive, der Subjektivität und der Intersubjektivität klären würde – will ich sie trotzdem verwenden.
[2] (Gebiet=Wert od. Kapital*[physisches Potenzial<>psychisches Potenzial])
- Version 13.04.2014: 001_HallLab_V1_0_13042014.pdf
(Originalfassung)
- Version 03.03.2016: Hallschlag_Text01_RaumwertUndRaumaneignung_030316.pdf
(Originalfassung mit ein paar Rechtschreibkorrekturen)